Auf der Suche nach den Ursachen für ein nach wie vor in diesem Bereich bestehendes Vollzugsdefizit zeigte sich, dass bei allen Überlegungen populationsgenetische Maßnahmen im Vordergrund stehen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass das Tierschutzgesetz das Wohlergehen jedes einzelnen Tieres schützen soll.
Vor diesem Hintergrund ist im Tierschutzausschuss der Tierärztekammer Berlin die Idee gereift, einerseits Vollzugshilfen für Veterinärämter zu entwickeln und diese als Website öffentlich zugänglich zu machen und andererseits flankierend dazu, bei einem Mitglied der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) ein Rechtsgutachten zu beauftragen. In diesem Gutachten sollte u. a. zu der Frage Stellung genommen werden, ob der Zweck früher oder später weniger unter ihren Schäden leidende Tiere zu haben, mit Rücksicht auf die bis zur fiktiven Erreichung des Ziels dazwischen geborenen Generationen dazu berechtigt, defektbelastete Tiere weiterhin zur Zucht einzusetzen.
Das von Herrn Professor Dr. jur. Thomas Cirsovius im Auftrag der Tierärztekammer Berlin Ende März erstellte Gutachten “Sind tierschutzwidrige Maßnahmen i. S. v. § 11b Abs. 1 TierSchG legal, wenn bezweckt ist, nach mehreren Zuchtgenerationen ungeschädigte, schmerz- und leidensfrei lebensfähige Nachkommen zu erzielen?“ kam kurz zusammengefasst u. a. zu folgenden Ergebnissen:
„Diverse in Deutschland stattfindende Tierzuchtprogramme sind unstreitig tierschutzwidrig und verstoßen gegen das Qualzuchtverbot nach § 11b Abs. 1 TierSchG.“ […]
„Der Bußgeldtatbestand nach §§ 11b Abs. 1, 18 Nr. 22 TierSchG ist auch erfüllt, wenn Zucht- oder Veränderungsmaßnahmen an Wirbeltieren erwarten lassen, dass die in § 11b Abs. 1 TierSchG beschriebenen Leiden, Schmerzen oder Schäden lediglich bei Tieren der Zwischengenerationen auftreten werden. Verstöße gegen § 11b Abs. 1 TierSchG sind in diesen Fällen nicht mittels eines ‚vernünftigen Grunds‘ oder anderweitig zu rechtfertigen.“ […]
„Wenn Tiere der Zwischengenerationen infolge von Zucht- oder biotechnischen Veränderungsmaßnahmen länger andauernde oder sich wiederholenden erhebliche Schmerzen oder Leiden erfahren und dies zum Zeitpunkt des Zuchtvorgangs für den Züchter vorhersehbar war, liegt neben einer Ordnungswidrigkeit eine nach § 17 Nr. 2b TierSchG zu ahndende Straftat <Tierquälerei> vor. I. d. R. ist die Tat allein strafrechtlich zu verfolgen.
Werden Tiere der Zwischengenerationen getötet, obwohl sich die Schmerzen oder Leiden veterinärmedizinisch beheben lassen, wird eine Straftat nach § 17 Nr. 1 TierSchG (Tötung eines Wirbeltiers ohne vernünftigen Grund) begangen. Erst recht dürfen die Tiere nicht getötet werden, wenn sie wider Erwarten schmerz- und leidensfrei überleben können.“ […]
„Ein Amtstierarzt, der als Nebentäter mindestens fahrlässig veranlasst, dass eine Zuchtgenehmigung entgegen § 11b Abs. 1 TierSchG erteilt wird, handelt ebenso ordnungswidrig wie der Züchter selbst. Erteilt der Amtstierarzt im Wissen um die tierschädigenden Folgen bestimmter Zuchtvorgänge eine rechtswidrige Genehmigung nach § 11 Abs. 1 Nr. 8a) TierSchG und wird deshalb durch den Züchter vorsätzlich und rechtswidrig der Straftatbestand des § 17 Nr. 1 und/oder Nr. 2b TierSchG verwirklicht, begeht der Amtstierarzt sogar strafbare Beihilfe. Ordnungswidrigkeiten nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG und Beihilfe zu Straftaten gem. § 17 TierSchG können Amtsträger auch durch Unterlassen begehen, z. B. indem sie ihnen zuzumutende Überwachungspflichten nach § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG nicht nachkommen.
Praktische Tierärzte machen sich bußgeldpflichtig oder gar wegen Beihilfe zu einem Vergehen nach § 17 Nr. 1 bzw. Nr. 2b TierSchG strafbar, wenn sie vorsätzlich durch Unterstützung im weitesten Sinne mit dazu beitragen, dass der Züchter vorsätzlich und rechtswidrig den Tatbestand nach §§ 11b Abs. 1, 18 Nrn. 2, 22 TierSchG oder gar denjenigen des § 17 Nrn. 1, 2b TierSchG verwirklicht. In Ordnungswidrigkeitsfällen genügt seitens des Tierarztes sogar Fahrlässigkeit, wenn der Tierarzt als Nebentäter anzusehen ist. Beihilfe zu einem Vergehen nach § 17 TierSchG setzt mindestens bedingten Vorsatz voraus. Erkennt der Tierarzt erst später, dass sein Verhalten zu einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat beigetragen hat, ist er verpflichtet alles Zumutbare zu veranlassen, damit das rechtswidrige Zuchtvorhaben unterbleibt.
Schwerwiegende ordnungsrechtliche Verstöße und Straftaten sind auch durch Schausteller, Zuchtrichter, Vorstandsangehörige von Zuchtvereinen und deren Dachverbände, Tierhändler und weitere im Zusammenhang mit Qualzüchtungen tätige Personen denkbar.“ […]
Das gesamte Gutachten ist hier als PDF hinterlegt.