An der Uni Tübingen wurden bis vor kurzem ohne Genehmigung Tierversuche an wildlebenden Krähen durchgeführt. Auf Nachfrage der Medien erteilte das Regierungspräsidium Tübingen im März 2021 die dafür notwendige Ausnahmegenehmigung und handelte damit in mehrfacher Hinsicht eklatant rechtswidrig. Zusammen mit dem Verein Ärzte gegen Tierversuche e. V.  legten wir heute Fachaufsichtsbeschwerde beim Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) Baden-Württemberg ein und fordern Konsequenzen für die Forscher der Universität und die Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde.

Andere als eigens für Versuchszwecke gezüchtete Tiere dürfen in Tierversuchen grundsätzlich nicht eingesetzt werden. Um sie dennoch zu verwenden, braucht man nach dem deutschen Tierschutzgesetz eine Ausnahmegenehmigung von der zuständigen Behörde. Ob diese eine solche erteilt, liegt – im Gegensatz zur allgemeinen Tierversuchsgenehmigung – im Ermessen der Behörde. Vorausgesetzt wird ein Antrag mit einer wissenschaftlich begründeten Darlegung, dass der Versuchszweck ausschließlich mit wildlebenden Tieren erreicht werden kann.

Seit Jahren betreibt die Universität Tübingen invasive Hirnversuche an Rabenkrähen. Für diesen Zweck wurden ihr auch wildlebende Tiere vom NABU, und nach Intervention der Veterinärbehörde auch vom Tier- und Vogelpark e. V. Forst aus Baden-Württemberg sowie vom Affen- & Vogelpark Eckenhagen aus Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt. Ziel der Versuche war es einer 2015 veröffentlichten Studie zufolge, die Vorgänge im Gehirn der Vögel bei der Anpassung an eine sich ändernde Umgebung zu ergründen. Mittels 16 Elektroden, die in das Gehirn der Tiere implantiert wurden, maßen die Wissenschaftler die Gehirnströme in bestimmten Hirnregionen, während sie Aufgaben lösen mussten. Der Verein Ärzte gegen Tierversuche prangert derartige invasive Hirnforschung an Krähen bereits seit mehr als 7 Jahren als reine Neugierforschung an.

Für die Verwendung der dem Labor von Externen überlassenen Krähen lag keine vom Tierschutzgesetz geforderte Ausnahmegenehmigung vor. Dies stellte das Regierungspräsidium klar, in dem es im März 2021 nachträglich einen „Änderungsbescheid“ ausstellte, um die Verwendung der Krähen zu erlauben. Eine rückwirkend, lange nach Beginn der Versuche erteilte Genehmigung ist jedoch nicht zulässig. „Abgesehen davon hätte die Genehmigung zu keiner Zeit erteilt werden dürfen, da die Voraussetzungen nicht gegeben waren“ urteilt Dr. Christoph Maisack, Vorsitzender der DJGT. Den Recherchen des Vereins SOKO Tierschutz und des Magazins SPIEGEL zufolge habe Tierexperimentator Nieder die Behörde informiert, dass er zusätzlich zu den wilden Krähen auch solche aus eigener Zucht benutze, da beide gleich geeignet und gesund seien. Die Behörde wusste also von Anfang an, dass wilde Krähen ohne Genehmigung und ohne, dass die Voraussetzungen für eine solche überhaupt vorlägen in den Versuchen eingesetzt wurden. Zusätzlich war zwischenzeitlich sogar die Veterinärbehörde involviert, dennoch wurde von Seiten des Regierungspräsidiums nichts getan. Es wurde offenkundig nicht für notwendig befunden, den Forscher auf die fehlende Genehmigung hinzuweisen oder die Versuche an den wildlebenden Krähen schließlich zu untersagen.

„Die Genehmigungspraxis des Regierungspräsidiums offenbart gewaltige Missstände im deutschen Tierversuchsrecht“, bemängelt Dr. med. vet. Corina Gericke, Vizevorsitzende von Ärzte gegen Tierversuche. “Nur etwa 0,75% der beantragten Genehmigungen werden überhaupt je abgelehnt“. Die Vereine stellten Fachaufsichtsbeschwerde an das Ministerium, denn dieses ist verpflichtet, die Behörde auf die Rechtswidrigkeit ihres Handelns deutlich aufmerksam zu machen. Tut es dies nicht, macht es sich zum Komplizen. Die logische Konsequenz der Behörde wäre es nun, Experimentator Nieder jegliche zukünftigen Genehmigungen für Tierversuche zu verweigern, da er sich als unzuverlässig erwiesen hat.