Obwohl § 2 Tierschutzgesetz bereits in der aktuellen Fassung verbietet, dass „die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung“ so eingeschränkt wird, dass ihm Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, sind in der Praxis nach wie vor zahlreiche Haltungsformen anzutreffen, die diesem Verbot entgegenstehen. Die Haltung von Pelztieren, die Haltung von Sauen in Kastenständen und die dauernde/ganzjährige Anbindehaltung von Rindern sind dabei nur einige Beispiele, die den Tieren zum Teil erhebliche, lang andauernde Schmerzen, Leiden und Schäden zufügen und daher mit dem Tierschutzgesetz nicht vereinbar sind. Zahlreiche Gutachten stellen dies seit Jahren fest und fordern, dass derartige Haltungsformen abgeschafft werden (siehe nur Rechtsgutachten zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zu einer Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 28.05.2019, Dr. Barbara Felde und Rechtsgutachten 2018 zur Frage der Vereinbarkeit der geplanten Neuregelung der Haltung von Sauen im Deckzentrum mit dem Tierschutzgesetz von Dr. Davina Bruhn).

Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung stellte fast 20 Jahre lang  an den Kastenstand die Anforderung, dass die Sauen zumindest ihre Beine ausstrecken können müssen. Zwischen den Kastenständen muss also jeweils genügend Platz für ein Abliegen der Tiere sein, oder aber der benachbarte Kastenstand muss jeweils freigehalten werden. Ganz überwiegend wurde diese Vorschrift seit dem Jahr 1992 von Sauenhaltern nicht eingehalten, die Tiere vielmehr so eng fixiert, dass sie sich nicht seitlich ablegen, geschweige denn umdrehen können. Am 3. Juli 2020 beschloss der Bundesrat den Ausstieg aus der Kastenstandhaltung, jedoch mit einer Übergangsfrist von acht Jahren (siehe Siebte Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, BR-Drs. 302/20 (B)). Der Beschluss ist zwar ein erster Schritt, jedoch vielmehr eine Verschlechterung des Tierschutzes, da bis zum Ablauf der langen Übergangsfrist die bislang rechtswidrige Praxis (vermeintlich, denn eine Vorschrift, die gegen höherrangiges Recht verstößt, legalisiert gerade nicht) „legalisiert“ wurde und der Abferkelbereich grundsätzlich aus dem Verbot ausgenommen ist. Dabei wurde lediglich an die Wirtschaftlichkeit der Betriebe gedacht, denen ein zügiger Umbau ihrer Ställe oder aber ein Leerstand der Hälfte ihrer Kastenstände nicht zugemutet werden sollte.

Bei der Anbindehaltung von Rindern sind die Tiere so am Hals fixiert, dass sie sich nicht einmal umdrehen können. Diese Haltung zieht neben schweren körperlichen Beeinträchtigungen – beispielsweise Liegeschwielen, geschwollene Gelenke, Lahmheit und Quetschungen am Hals – auch psychische Schäden mit sich. In den meisten Fällen stehen die Tiere dauerhaft in ihren Exkrementen. Das VG Oldenburg stellte am 19.09.2019 (VG Oldenburg, Beschluss vom 19.09.2019 – 7 B 2440/19) fest, dass die dauerhafte Anbindehaltung von Milchkühen, auch den Tierschutzleitlinien für die Milchkuhhaltung des Niedersächsischen Ministeriums für Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung und dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (siehe Tierschutzleitlinie für die Milchkuhhaltung, LAVES, Tierschutzdienst, Arbeitsgruppe Rinderhaltung vom 1. Mai 2007, https://www.laves.niedersachsen.de/download/41962/Tierschutzleitlinie_fuer_die_Milchkuhhaltung.pdf) sowie den Leitlinien der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (siehe Stellungnahme der TVT zur Anbindehaltung von Rindern von August 2015, https://tierschutz-tvt.de/alle-merkblaetter-und-stellungnahmen/?no_cache=1&download=TVT-Stellungn._Anbindehaltung_Rinder__August_2015_.pdf&did=124) folgend, einen Verstoß gegen § 2 Nr. 1 TierSchG begründet. Die Haltung schränke die wesentlichen arteigenen Verhaltensweisen, insbesondere das Bewegungs-, Komfort- und Sozialverhalten, erheblich ein. Nach Meinung der Richter ist eine Anbindehaltung für Neubauten nicht mehr zulässig, für bestehende Haltungen könne man ergänzende Maßnahmen treffen, um eine art- und bedürfnisgerechte Rinderhaltung zu gewährleisten.

Die gängige Käfighaltung von Pelztieren hatte der Bundesrat bereits 1992 als art- und verhaltenswidrig angesehen (siehe Protokoll Nr. 639 der Bundesratssitzung vom 14. Februar 1992, S. 47) und eine Bearbeitung der Regelungen in der TierSchNutztV gefordert. Grundlegendes hat sich seitdem nicht geändert. Gerade die aktuelle Corona-Pandemie zeigt die Krisenanfälligkeit von Pelztierfarmen. Heutzutage gibt es sehr gute Alternativen für Tierpelze, die DJGT sieht daher ein Verbot der Haltung von Pelztieren als dringend erforderlich und möglich an.

Erst ein Mal, im Fall der Haltung von Legehennen, urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. vom 12.10.2010 – 2 BvF 1/07), dass die Vorschriften der TierSchNutztV mit Art. 20a Grundgesetz nicht vereinbar sind. Auf dieser Basis mussten die Vorschriften durch das BMEL angepasst werden. Tierhaltern eine jahrelange Übergangsfrist bei der Abschaffung rechtswidriger Haltungsformen zu gewähren, geht zu Ungunsten der Tiere und ist nicht notwendig, da allen Beteiligten klar sein müsste, dass die Haltungen gegen das Tierschutzgesetz und den Tierschutz im Grundgesetz verstoßen.

Da trotz der im Prinzip deutlichen Vorschriften des § 2 TierSchG die beschriebenen Haltungsformen nicht Ausnahme, sondern gängige Praxis sind, wird eine Präzisierung des Gesetzes vorgeschlagen, nach welcher bestehende nicht art- und verhaltensgerechte Tierhaltungsformen nach einer durch die zuständige Behörde anzuordnenden, angemessenen Übergangsfrist anzupassen sind, wobei das Verbot in § 2 Satz 1 Nr. 2 unberührt bleibt. Nachfolgende Formulierung könnte hierfür genutzt werden:

  • § 2 S. 3 TierSchG

Gegen Satz 1 Nummer 1 und 2 verstößt insbesondere

  1. die dauerhafte Haltung in Käfigen oder Gehegen, wenn dort infolge räumlicher Enge, geringer Höhe, künstlicher Dauerbeleuchtung oder fehlender Strukturen Verhaltensbedürfnisse erheblich zurückgedrängt werden,
  2. die dauernde Anbindehaltung von Tieren,
  3. die Haltung in Ställen ohne Auslauf, in denen die den Tieren insgesamt zur Verfügung stehende Bodenfläche die für das artgerechte gleichzeitige Ruhen erforderliche Fläche nicht um mehr als das Zweifache übersteigt (Engaufstallung),
  4. die länger als acht Stunden dauernde Fixierung von Tieren in Haltungseinrichtungen.

Daneben schlagen wir vor, die oben genannten Beispiele ausdrücklich zu erwähnen, damit abschließende Klarheit herrscht. Bezüglich des Tötens männlicher Küken soll ebenfalls ein explizites Verbot ins Gesetz aufgenommen werden. Die einzelnen Vorschriften könnten beispielhaft so lauten:

Die Haltung von Pelztieren zur Pelzgewinnung/Haltung von Sauen in Kastenständen im Deck- und Abferkelbereich/dauernde Anbindehaltung von Rindern ist verboten. Für Haltungen, die am [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] bereits errichtet und in Betrieb genommen worden sind, gilt Satz 1 ab dem [einsetzen: Datum des Tages, der ein/zwei/drei Jahre nach dem Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes liegt].

Die Einfügung eines solchen ausdrücklichen Verbots würde Rechtssicherheit für Tierhalter schaffen und dem Staatsziel Tierschutz in Art. 20a GG Folge leisten. Wirtschaftliche Belange können das Staatsziel nicht so weit aushebeln, dass rechtswidrige Haltungen jahrzehntelang gebilligt werden, denn auch der Tierschutz hat Verfassungsrang. Die neue Bundesregierung muss sich einer wirksamen Umsetzung dieses Ziels widmen. Zwangsweise wird mit einer rechtskonformen Gestaltung von Tierhaltungen auch eine Dezimierung der Tierzahlen einhergehen, diese ist jedoch auch aus brandschutztechnischen Gründen sowie tierschutzrechtlich dringend geboten. Ein Ausstieg aus der Massentierhaltung wird von immer größeren Teilen der Bevölkerung gefordert und entspricht dem Gesetz, da es in der Massentierhaltung, wie sie heute praktiziert wird, nicht möglich ist, das geltende Recht einzuhalten. Bislang wurde dies von der Politik, den Behörden und auch den Gerichten schlicht ignoriert bzw. hingenommen.