Immer wieder wurden in der letzten Zeit grausame Tierquälereien in Schlachthöfen und damit zusammenhängenden Betrieben bekannt – jedes Mal aufgedeckt durch Tierschutzverbände. Oft waren die zuständigen Behörden und Amtsveterinäre zuvor involviert und die Zustände waren bekannt, dennoch wurde bis zur Veröffentlichung der Aufnahmen der Tierschützer nichts unternommen, um die Tiere vor weiteren rechtswidrigen Quälereien zu schützen. In manchem Fall ist sogar von einer Verstrickung der Landespolitik auszugehen. Oldenburg, Bad Iburg, Tauberbischofsheim und Selm sind nur einige Beispiele für die tierschutzwidrigen Zustände, die, so der Anschein, in immer zahlreicheren deutschen Schlachthöfen vorzufinden sind.
Es scheint, dass das Tierschutzgesetz im wirtschaftlichen Bereich der Nutztierhaltung und Schlachtung sehr viel weniger wirksam vollzogen wird. Die Ahndung tierschutzwidriger Handlungen gestaltet sich schwierig, das Videomaterial ist nicht von offizieller Hand erstellt worden, Veterinäre sind bei der Auswertung oft unsicher, wie die Straftatbestände des § 17 TierSchG auszulegen sind und der wirtschaftliche Verlust der Betriebe fließt in die Verfahren als starker Faktor neben dem Tierschutz ein.
Um derartige Zustände, z.B. illegale Schächtungen, rohe Misshandlungen der Tiere oder Schlachtung gesundheitlich angeschlagener Tiere, umgehend festzustellen und notwendige Maßnahmen zu ergreifen, bedarf es einer verpflichtenden Videoüberwachung in den tierschutzrelevanten Bereichen (Entladung, Zutrieb, Betäubung, Entblutung) von Schlachthöfen. In Anbetracht der Vielzahl aufgedeckter Verstöße muss davon ausgegangen werden, dass die Vor-Ort-Kontrollen durch Amtstierärzte und amtliche Tierärzte nicht ausreichend sind und weitere Kontrollen durch die hiermit geforderte kameragestützte Videoüberwachung und deren verpflichtende Auswertung durch die Behörde erforderlich sind. Zum 15.03.2019 erwirkten die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eine Bundesrats-Entschließung, in welcher gefordert wird, eine Rechtsgrundlage für die Einführung eines standardisierten, kameragestützten Überwachungssystems sowie eine rechtlich festgeschriebene Verpflichtung der Schlachthofbetreiber zur Inbetriebnahme eines solchen Kamerasystems zu schaffen, um den Tierschutz für Schlachttiere zu verbessern. Durch die Zur-Verfügung-Stellung der Videoaufnahmen für Behörden kann der Vollzug des Tierschutzgesetzes gravierend verbessert werden, außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Mitarbeiter der Schlachthöfe angesichts einer Videoüberwachung in der Zukunft besser aufpassen, wie sie mit unseren Mitgeschöpfen, zu deren Schutz wird uns verpflichtet haben, umgehen.
Unüberwindbare datenschutzrechtliche Hindernisse stehen einer generellen Videoüberwachungspflicht nicht entgegen, die Einhaltung datenschutzrechtlicher Anforderungen ist möglich. Im Zuge der Videoüberwachung werden personenbezogene Daten der Mitarbeiter erhoben. Eine Überwachung, die die Identifizierung der Mitarbeiter ausschließt, wäre vollkommen ungeeignet, das verfolgte Ziel der Ahndung tierschutzrechtlicher Verstöße und der Verhinderung künftiger Verstöße zu erreichen, wenn die Handlungen nicht bestimmten Personen zugeordnet werden können. Im Übrigen ist eine Aufzeichnung eines von Personen durchgeführten Vorgangs ohne Aufzeichnung dieser Personen praktisch unmöglich. Die Videoüberwachung fällt daher unter den Anwendungsbereich der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Nach dieser EU-Verordnung gilt ein Verbot der Verarbeitung personenbezogener Daten, außer die Datenverarbeitung wird im konkreten Fall erlaubt. Dem Tierschutz stehen die Interessen und Persönlichkeitsrechte der gefilmten Personen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz gegenüber, wonach grundsätzlich jeder selbst entscheiden kann, welche Daten über ihn erfasst, verwendet und ausgewertet werden. Diese Recht wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet und kann von entgegenstehenden tierschutzrechtlichen Interessen – die seit 2002 Verfassungsrang haben – eingeschränkt werden. Relevant sind hier die Erlaubnistatbestände des Art. 6 Abs. 1 lit. c) EU-DSGVO sowie des Art. 6 Abs. 1 lit. e) EU-DSGVO. Eine Videoüberwachung kann erlaubt sein, sofern dafür eine gesetzlich oder per Rechtsverordnung angeordnete Pflicht besteht. Eine solche kann im Tierschutzgesetz oder einer darauf beruhenden Rechtsverordnung implementiert werden sowie auch in der EU-Tierschlachtverordnung. In der rechtlichen Grundlage muss der Zweck der Videoüberwachung niedergelegt werden, in diesem Fall die Sicherstellung eines tierschutzgerechten Umgangs mit den betroffenen Tieren und die Möglichkeit, Verstöße gegen das Tierschutzrecht zu ahnden. Der Tierschutz ist seit dem Jahr 2002 Staatsziel mit Verfassungsrang wie auch in dem EU-Primärrecht implementiert, beide Vorschriften sind verbindliche Rechtsnormen. Das im Interesse der Bevölkerung liegende Ziel des Tierschutzes kann mit den genannten Zwecken der Videoüberwachung gefördert werden, daneben können auch Vorgänge revidiert und verbessert werden, die nicht den vorgegebenen Vorschriften zur Tötung von Tieren entsprechen. Ein milderes Mittel ist in Anbetracht der Zahl der bereits aufgedeckten Verstöße, begangen zum Teil unter Anwesenheit eines Amtsveterinärs, nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass Veterinärbehörden oft unterbesetzt sind und nicht in jedem Schlachtbetrieb zu jeder Zeit und in jedem tierschutzrelevanten Bereich anwesend sein können. Durch Vorgaben der Zeitspanne für eine Speicherung und der Zugangspersonen für die Aufnahmen müssen die personenbezogenen Daten der Mitarbeiter geschützt werden. Des Weiteren kann eine Verarbeitung personenbezogener Daten erlaubt sein, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe des öffentlichen Interesses erforderlich ist.
Die hier vorgeschlagene Vorschrift erfüllt alle Anforderungen einer Rechtsgrundlage für die Einführung einer generellen Videoüberwachungspflicht in Schlachthöfen:
§ NEU TierSchG
Verpflichtende kameragestützte Überwachung in Betrieben, in denen Tiere nach § 4a TierSchG geschlachtet werden
(1) In Einrichtungen, in denen Tiere nach § 4a TierSchG geschlachtet werden, ist ab dem [einsetzen: letzter Tag des achtzehnten Monats nach Inkrafttreten dieser Vorschrift] in den Bereichen Entladung, Zutrieb, Betäubung und Entblutung zur Überwachung und Kontrolle der Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorschriften sowie zum Zweck der Sanktionierung aufgezeichneter Verstöße im Rahmen der Arbeitsvorgänge an lebenden Tieren auf Kosten des Betreibers der Einrichtung ein kameragestütztes, visuelles Überwachungssystem einzurichten. Dieses hat sämtliche Arbeitsabläufe an lebenden Tieren in den in Satz 1 genannten Bereichen einschließlich der ausführenden Personen gut sichtbar aufzuzeichnen.
(2) Der für die Überwachung der Einrichtung nach Absatz 1 zuständigen Behörde ist alleiniger Zugriff auf die Videoaufzeichnungen zu gewähren. Die zuständige Behörde hat die Videoaufzeichnungen innerhalb von 4 Wochen nach der Aufzeichnung stichprobenartig zu sichten und aufgrund darauf ersichtlicher Verstöße gegen das Tierschutzrecht die erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung gleichartiger Verstöße zu ergreifen. Die stichprobenartigen Sichtungen müssen für jeden Betriebstag, an dem in der Einrichtung Schlachttätigkeiten durchgeführt werden, erfolgen.
(3) Die Aufzeichnungen sind nach der Sichtung durch die zuständige Behörde zu löschen, sofern keine Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorschriften aufgezeichnet wurden. Im Falle der Aufzeichnung von Zuwiderhandlungen gegen das Tierschutzrecht dürfen die Aufzeichnungen zur Ahndung der aus den Zuwiderhandlungen folgenden Ordnungswidrigkeiten oder Straftatbeständen gespeichert und verarbeitet werden; insbesondere dürfen die Aufzeichnungen an die zuständige Strafverfolgungsbehörde weitergeleitet werden. Sobald verhängte Sanktionen rechtskräftig sind, sind die Aufzeichnungen zu löschen. Werden Sanktionen nicht verhängt, sind die Aufzeichnungen drei Jahre ab ihrer Aufzeichnung zu speichern und sodann zu löschen.
(4) Das Bundesministerium regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates innerhalb eines Jahres ab Inkrafttreten dieser Vorschrift die konkreten Anforderungen an die Verpflichtung nach Absatz 1. Es erlässt insbesondere Vorschriften über Anforderungen an die Kameratechnik, die Auflösung der visuellen Aufzeichnungen, die konkrete Übertragung der Daten zur zuständigen Behörde und die Einschränkung der mit der Sichtung der Aufzeichnungen betrauten Personen.
Die Verordnungsermächtigung nach Absatz 4 ist verpflichtend und zeitlich begrenzt auszugestalten, da ansonsten nicht mit Gewissheit damit zu rechnen ist, dass das Bundesministerium von der Ermächtigung Gebrauch macht.