Mit einem Vorstoß im Bundesrat versucht das Land Niedersachsen, im Jahr 2021 beschlossene Veresserungen im Tiertransportrecht hinauszuzögern.

Es wird von dem Land Niedersachsen im Bundesrat beantragt, die Übergangsfrist für das Heraufsetzen des Mindesttransportalters von Kälbern von 14 Tagen auf 28 Tage von einem Jahr auf drei Jahre – konkret: bis 2025 – zu verlängern (BR-Drs. 7/22). Als Begründung wird angeführt, die Änderung der Tierschutz-Transportverordnung stelle die Kälber haltenden Betriebe und Tiertransportunternehmen in Deutschland vor enorme Herausforderungen, welche ohne eine entsprechend lange Übergangsfrist nicht zu bewältigen seien.

Die beantragte Verlängerung der Übergangsfrist in § 23 TierSchTrV um weitere zwei Jahre ist tierschutzwidrig, da es hierfür an einem vernünftigen Grund im Sinne des § 1 Satz 2 TierSchG fehlt. Ein vernünftiger Grund liegt vor, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist, und wenn er unter konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG Kommentar, 3. Aufl. 2016, § 1 TierSchG Rn. 33). Der Antrag Niedersachsens stellt zur Begründung der Verlängerung der Übergangsfrist auf genehmigungsrechtliche Problematiken ab. Diese wurden jedoch bereits im Rahmen der Festsetzung der Übergangsfrist auf ein Jahr im Beschluss des Bundesrates vom 25. Juni 2021 (BR-Drs. 394/21) berücksichtigt. Dort heißt es in Ziffer 8b:

„Die Änderung hat erhebliche Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe und Strukturen. In den Herkunftsbetrieben müssen ausreichende räumliche sowie personelle Kapazitäten geschaffen werden (bauliche Maßnahmen zur Einrichtung zusätzlicher Haltungssysteme gemäß TierSchNutztV, Anschaffung weiterer Kälberiglus, Erhöhung des Betreuungsaufwandes und des entsprechenden Personals für die Kälber aufgrund längerer Verweilzeit usw.). Bei den Transporten ist der Platzbedarf pro Tier auf den Transportfahrzeugen größer, was wiederum wirtschaftliche Folgen hat. Daher ist eine Übergangszeit von einem Jahr notwendig.“

Der Bundesrat ist im Juni 2021 unter Heranziehung der nun erneut geltend gemachten Aspekte bereits zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Übergangsfrist von einem Jahr ausreichend ist. Das Land Niedersachsen hatte diesem Punkt mit seinen Stimmen im Bundesrat zugestimmt.

Als Motiv hinter den Bestrebungen, die Übergangsfrist zu verlängern, stehen somit ausschließlich Kosten- und Aufwandsfaktoren der großen Milchviehhalter. Kleinere, bäuerliche Betriebe „produzieren“ nicht so viele Kälber, dass durch die Heraufsetzung des Mindesttransportalters von Kälbern um 14 Tage Umbauten nötig wären. Auch besteht für viele Betriebe die Möglichkeit, bereits in der Übergangsfrist weniger Kälber zu „produzieren“. Statt einmal im Jahr kann man weibliche Rinder auch alle zwei Jahre besamen. Damit kann man etwa ein Drittel weniger Kälber „erzeugen“. Man kann zudem, statt der üblichen Einzelhaltung, Kälber früher in einer Gruppenhaltung unterbringen, denn die bislang genutzten „Kälberiglus“ könnten bereits bald als „Käfig“ verboten werden. Eine muttergebundene Kälberaufzucht, bei der weibliche und männliche Kälber für die ersten Monate bei der Mutter bleiben und diese Kühe trotzdem gemolken werden können, ist die anzustrebende Form der Kälberhaltung, die auch von einigen Betrieben umgesetzt wird.

Die Gründe aber, wie sie hier geltend gemacht werden, sind nicht geeignet, eine bereits auf sachlicher Basis beschlossene Übergangsfrist zu verlängern. Nach der Rechtsprechung sind ökonomische Gründe zur Ausfüllung des vernünftigen Grundes nicht geeignet (siehe nur BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2019 – 3 C 28.16; VGH München, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 9 ZB 10.1458; OVG Münster, Urteil vom 10. August 2012 – 20 A 1240/11; VG Magdeburg, Urteil vom 4. Juli 2016 – 1 A 1198/14; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. September 1984, 5 Ws 2/84 – NStZ 1985, 130).

Weiter stellt die Heraufsetzung des Alters sehr junger Kälber für den Transport lediglich eine – nunmehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft angepasste – Konkretisierung der Transportfähigkeit – bzw. hier: der Transportunfähigkeit – bestimmter Kategorien von Tieren dar, die auch ohne Übergangsfrist in der Tierschutz-Transportverordnung implementiert werden könnte. Kälber müssen bis zur Entwicklung eines stabilen Immunsystems, was nicht vor Abschluss ihrer vierten Lebenswoche der Fall ist, als „Tiere mit physiologischen Schwächen“ im Sinne von Anhang I Kapitel I Nr. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 und damit – sofern sie nicht zusammen mit dem Muttertier befördert werden – als transportunfähig angesehen werden (vgl. nur Bundestierärztekammer und Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz, Positionspapier zum Transport von Kälbern vom 27. Januar 2021, S. 6). Es ist verboten, transportunfähige Tiere zu transportieren. Dieses Verbot darf nicht durch die Verlängerung einer noch längeren Übergangsfrist unterlaufen werden. Die in der Praxis seit vielen Jahrzehnten stattfindenden Transporte von Kälbern unter 28 Tagen stellen Transporte nicht transportfähiger Tiere dar, die allein aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt werden. Diese Praxis muss beendet werden.

Es würde das in Artikel 20a GG festgeschriebene Staatsziel Tierschutz unterlaufen, wenn den Forderungen nach einer Verlängerung der Übergangsfrist nachgegeben würde.