Nach Wiederaufruf ist morgen, am 20. Juni 2022, erneut ein Verordnungsantrag des Landes Niedersachsen zum Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Tierschutztransportverordnung (BR-Drs. 7/22 vom 11. Januar 2022) Gegenstand im Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz im Bundesrat.
Es wird von dem Land Niedersachsen beantragt, die Übergangsfrist für das Heraufsetzen des Mindesttransportalters von Kälbern von 14 Tagen auf 28 Tage von einem Jahr auf drei Jahre – konkret: bis 2025 – zu verlängern. Als Begründung wird angeführt, die Änderung der Tierschutz-Transportverordnung stelle die Kälber haltenden Betriebe und Tiertransportunternehmen in Deutschland vor enorme Herausforderungen insbesondere genehmigungsrechtlicher Art, welche ohne eine entsprechend lange Übergangsfrist nicht zu bewältigen seien. Diese Argumente wurden jedoch bereits im Rahmen der Festsetzung der Übergangsfrist auf ein Jahr im Beschluss des Bundesrates vom 25. Juni 2021 (BR-Drs. 394/21) berücksichtigt. Dort heißt es in Ziffer 8b:
„Die Änderung hat erhebliche Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe und Strukturen. In den Herkunftsbetrieben müssen ausreichende räumliche sowie personelle Kapazitäten geschaffen werden (bauliche Maßnahmen zur Einrichtung zusätzlicher Haltungssysteme gemäß TierSchNutztV, Anschaffung weiterer Kälberiglus, Erhöhung des Betreuungsaufwandes und des entsprechenden Personals für die Kälber aufgrund längerer Verweilzeit usw.). Bei den Transporten ist der Platzbedarf pro Tier auf den Transportfahrzeugen größer, was wiederum wirtschaftliche Folgen hat. Daher ist eine Übergangszeit von einem Jahr notwendig.“
Der Bundesrat ist im Juni 2021 unter Heranziehung der nun erneut geltend gemachten Aspekte bereits – mit den Stimmen des Landes Niedersachsen – zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Übergangsfrist von einem Jahr ausreichend ist.
Die beantragte Verlängerung der Übergangsfrist in § 23 Tierschutz-Transportverordnung um weitere zwei Jahre ist tierschutzwidrig, da es hierfür an einem vernünftigen Grund im Sinne des § 1 Satz 2 Tierschutzgesetz fehlt. Ein vernünftiger Grund liegt vor, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist, und wenn er unter konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG Kommentar, 3. Aufl. 2016, § 1 TierSchG Rn. 33).
Hinter dem Antrag des Landes Niedersachsen, die Übergangsfrist zu verlängern, stehen ausschließlich Kosten- und Aufwandsfaktoren der Milchviehindustrie. Diese sind nicht geeignet, eine bereits auf sachlicher Basis beschlossene Übergangsfrist zu verlängern. Nach der Rechtsprechung sind ökonomische Gründe allein zur Ausfüllung des vernünftigen Grundes nicht geeignet (siehe nur BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2019 – 3 C 28.16; VGH München, Beschluss vom 17. Januar 2013 – 9 ZB 10.1458; OVG Münster, Urteil vom 10. August 2012 – 20 A 1240/11; VG Magdeburg, Urteil vom 4. Juli 2016 – 1 A 1198/14; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. September 1984 – 5 Ws 2/84, NStZ 1985, 130).
Weiter stellt die Heraufsetzung des Alters sehr junger Kälber für den Transport lediglich eine – nunmehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft angepasste – Konkretisierung der Transportfähigkeit – bzw. hier: der Transportunfähigkeit – bestimmter Kategorien von Tieren dar, die auch ohne Übergangsfrist in der Tierschutz-Transportverordnung implementiert werden könnte. Kälber müssen bis zur Entwicklung eines stabilen Immunsystems, was nicht vor Abschluss ihrer vierten Lebenswoche der Fall ist, als „Tiere mit physiologischen Schwächen“ im Sinne von Anhang I Kapitel I Nr. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 und damit – sofern sie nicht zusammen mit dem Muttertier befördert werden – als transportunfähig angesehen werden (vgl. nur Bundestierärztekammer und Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz, Positionspapier zum Transport von Kälbern vom 27. Januar 2021, S. 6). Es ist verboten, transportunfähige Tiere zu transportieren. Dieses Verbot darf nicht durch die Verlängerung einer noch längeren Übergangsfrist unterlaufen werden. Die in der Praxis seit vielen Jahrzehnten stattfindenden Transporte von Kälbern unter 28 Tagen stellen Transporte nicht transportfähiger Tiere dar, die allein aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt werden. Diese Praxis muss beendet werden.
Es würde das Staatsziel Tierschutz, das sich die Bundesrepublik Deutschland in Artikel 20a GG gesetzt hat, unterlaufen, wenn den Forderungen nach einer Verlängerung der Übergangsfrist nachgegeben würde.