Wer für ein „Weniger“ an Tierschutz klagen möchte, dem steht der gesamte Klageweg offen. Wer aber für ein „Mehr“ an Tierschutz klagen möchte, dem sind die Hände gebunden – Tiere können nicht klagen und Menschen können dies nicht wirksam für sie tun. So kann beispielsweise ein Tier-Experimentator klagen, wenn ihm eine Tierversuchsgenehmigung versagt wird, jedoch kann keiner klagen, um die Erteilung einer Tierversuchsgenehmigung zu verhindern.
Seit 2007 bis heute erließen neun Bundesländer Tierschutz-Verbandsklagegesetze, wobei NRW sein Gesetz über das Jahr 2018 hinaus nicht verlängerte und somit abschaffte. Die Landes-Tierschutz-Verbandsklagegesetze sind jedoch eher Feigenblätter als wirksame Möglichkeiten, als Anwalt der Tiere für diese einzustehen und das Tierschutzrecht gerichtlich durchzusetzen. Die möglichen Klagearten sind eingeschränkt und zum Teil auf die Feststellungsklage begrenzt, bezüglich Genehmigungen von Tierversuchsvorhaben ist z. B. lediglich eine Feststellungsklage möglich, welche keine aufschiebende Wirkung entfaltet, so dass der Tier-Experimentator trotz Erhebung einer Klage dagegen von seiner Tierversuchsgenehmigung Gebrauch machen kann. Auch Mitwirkungs- und Akteneinsichtsmöglichkeiten sind teils mit Hindernissen wie sehr kurzen Fristen verbunden und werden von den zuständigen Behörden nicht unbedingt wirksam ermöglicht, zum Teil sogar verweigert. Zuletzt entschied das VG Berlin – bislang nur im Eilverfahren -, dass Berliner Bezirksämter der klageberechtigten Tierschutzorganisation PETA Akteneinsicht gewähren müssen.
Die Möglichkeit einer Tierschutz-Verbandsklage gibt es bislang also nur auf Ebene einzelner Bundesländer und nicht auf Bundesebene; in Aussicht ist eine derartige Regelung nicht. Doch wäre sie sehr wichtig, um die Einhaltung der Vorgaben des Tierschutzrechts gerichtlich überprüfen lassen zu können.
Von der DJGT wird die Einführung einer bundesweiten Verbandsklagemöglichkeit gefordert, die anerkannten Tierschutzverbänden sämtliche Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung gewährt, die auch nicht nur begrenzt auf bestimmte tierschutzrechtiche Maßnahmen erlaubt werden.
Neben ebenfalls erforderlichen wirksamen und gangbaren Vorschriften für eine effektive Mitwirkung von Tierschutzverbänden könnte eine Vorschrift für die eigentliche Verbandsklage wie folgt lauten:
§ NEU TierSchG
(1) Eine anerkannte Vereinigung oder eine anerkannte rechtsfähige Stiftung kann, ohne die Verletzung eigener Rechte geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung einlegen gegen
- Genehmigungen, Erlaubnisse, Zulassungen und Maßnahmen nach diesem Gesetz, nach Vorschriften in aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie nach Vorschriften unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union auf dem Gebiet des Tierschutzes,
- bau- und immissionsschutzrechtliche Genehmigungen für Vorhaben zum Halten, Züchten oder Schlachten von Tieren zu Erwerbszwecken sowie
- die Ablehnung oder die Unterlassung von Anordnungen nach diesem Gesetz oder nach Vorschriften in aufgrund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen oder eines unmittelbar geltenden Rechtsakts der Europäischen Union auf dem Gebiet des Tierschutzes.
Satz 1 Nummer 1 und 2 gilt nicht, wenn ein dort genannter Verwaltungsakt auf Grund einer Hauptsache-Entscheidung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren erlassen oder in einem solchen Verfahren als rechtmäßig bestätigt worden ist. Satz 1 Nummer 3 gilt nicht, wenn die Ablehnung oder Unterlassung in einem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren bestätigt worden ist.
(2) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 Satz 1 sind nur zulässig, wenn die Vereinigung oder die Stiftung
- geltend macht, dass der Erlass eines in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 genannten Verwaltungsaktes oder einer Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 oder die Ablehnung oder Unterlassung einer Anordnung im Sinne von Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 gegen Vorschriften des Tierschutzgesetzes, gegen Rechtsverordnungen, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind, gegen unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union auf dem Gebiet des Tierschutzes oder gegen Inhalte der den Tierschutz betreffenden und durch die Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommen des Europarates und der diesen zugehörigen Empfehlungen des Ständigen Ausschusses verstößt,
- dadurch in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich, soweit sich die Anerkennung darauf bezieht, berührt wird und
- soweit sie zur Mitwirkung berechtigt war, sich hierbei in der Sache geäußert hat oder ihr keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben oder keine Akteneinsicht gewährt worden ist.
(3) Ist ein Verwaltungsakt nach Absatz 1 der Vereinigung oder der Stiftung nicht bekannt gegeben worden, müssen Widerspruch und Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung oder die Stiftung von dem Verwaltungsakt Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
Mit einer bundesweiten Tierschutz-Verbandsklage nach diesen Maßgaben erhielten Tierschutzverbände eine wirksame Basis, um Maßnahmen und Unterlassungen im Bereich des Tierschutzes gerichtlich umfassend überprüfen zu lassen und die Behörden beim Vollzug des Tierschutzrechts zu unterstützen. Es kann mit Wahrscheinlichkeit anhand der bisherigen Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass es keine Prozessflut geben wird, zumal die Verantwortlichen, für die das Tierschutzgesetz Geltung findet, sich möglicherweise eher an die Vorgaben halten werden, wenn sie Klagen von Tierschutzverbänden befürchten müssten. Aktuell geben Behörden scheinbar eher dem Druck der Tier“nutzer“ nach, da ihnen aktuell (nur) von dieser Seite aufwendige Prozesse drohen, während Tierschützer diesen Hebel nicht haben.