Noch immer werden Hummer lebend und unbetäubt in kochendes Wasser geworfen, um sie zu töten und sodann zu essen.

Das Tierschutzgesetz – TierSchG – unterscheidet zwischen den Begriffen „Tier“ und „Wirbeltier“, wobei unter „Tier“ sämtliche lebenden nichtmenschlichen Tiere fallen sollen. Der Begriff „Wirbeltier“ umfasst Säugetiere, Reptilien, Amphibien, Vögel, Knochenfische, Knorpelfische und Rundmäuler. Wirbeltiere sind vor einer betäubungslosen Tötung durch § 4 TierSchG geschützt. Die Fähigkeit von Wirbeltieren Schmerz zu empfinden ist bereits lange wissenschaftlich bewiesen und wird vom Tierschutzgesetz auch zugrunde gelegt. Bereits der Regierungsentwurf zum Tierschutzgesetz von 1972 (BT-Drs. VI/2559) legte fest, dass die Tötung von Wirbeltieren so schmerzfrei wie möglich erfolgen muss. Eine Beschränkung auf Wirbeltiere ist mit § 1 TierSchG und mit dem Staatsziel Tierschutz in Art. 20a GG aber nicht vereinbar. Der Stand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Schmerz- und Leidensfähigkeit von wirbellosen Tieren ist in stetigem Fluss. Bei Kopffüßern (Cephalopoden) und Zehnfußkrebsen (Dekapoden) ist nach aktuellem wissenschaftlichen Stand vom Vorliegen einer den Wirbeltieren entsprechenden sinnesphysiologischen Entwicklungsstufe auszugehen, nach der sie eine vergleichbare Schmerz- und Leidensfähigkeit besitzen. Das Tierschutzgesetz muss dem Rechnung tragen und auf dieser Grundlage die Gruppen von Tieren, für die eine Betäubung vor der Tötung vorgeschrieben ist, nach diesen neuen Erkenntnissen erweitern.

Eine Gleichbehandlung dieser Tiere – Kopffüßer (Cephalopoden) und Zehnfußkrebse (Dekapoden) – und anderer, bereits empfindungsfähiger Lebewesen mit den Wirbeltieren wird mit folgender Formulierung des § 4 Absatz 1 Satz 1 TierSchG, der zentralen Vorschrift für die Tötung von Tieren, vorgeschlagen:

 

§ 4 Abs. 1 S. 1 TierSchG NEU GEFASST

Wirbeltiere, Kopffüßer (Cephalopoden), Zehnfußkrebse (Dekapoden) sowie alle selbständig Nahrung aufnehmende Larven von Wirbeltieren und alle embryonalen und fötalen Formen von Säugetieren ab dem Erreichen des letzten Drittels der Graviditäts- oder Brutdauer dürfen nur getötet werden, wenn sie zuvor unter Vermeidung von Schmerzen, Leiden und Ängsten vollständig betäubt, d.h. in einen bis zum Tod andauernden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt worden sind.

 

Der deutsche Gesetzgeber geht bereits jetzt davon aus, dass Kopffüßer und Zehnfußkrebse über ein den Wirbeltieren entsprechendes Empfindungsvermögen verfügen und daher – jedoch aktuell nur im Rahmen von Tierversuchen – den gleichen Schutz genießen sollen. Dies geht aus § 8a Absatz 1 Satz 1 TierSchG alte Fassung (gültig bis 2006) hervor, in dem eine Anzeigepflicht für Tierversuche an Cephalopoden und Dekapoden vorgesehen war. Auch durch die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere – EU-TierversuchsRL – wird den Mitgliedstaaten ermöglicht, eigenständig darüber zu entscheiden, ob und inwieweit weitere Tiere als Wirbeltiere dem Schutzbereich ihrer Tierschutzgesetzgebung unterstellt werden sollen. Für Kopffüßer macht die Richtlinie in Erwägungsgrund 8 bereits deutlich, dass für diese Tiergruppe ein erweiterter Schutz gelten soll. Der Erwägungsgrund 8 lautet:

„Neben Wirbeltieren, zu denen Rundmäuler gehören, sollten auch Kopffüßer in den Geltungsbereich dieser Richtlinie aufgenommen werden, da es wissenschaftliche Belege dafür gibt, dass sie Schmerzen, Leiden und Ängste empfinden sowie dauerhafte Schäden erleiden können.“

Auch Säugetierföten sind in der EU TierversuchsRL genannt. Deren Erwägungsgrund 9 lautet:

„Die Richtlinie sollte auch die Föten von Säugetieren einschließen, da es wissenschaftliche Belege dafür gibt, dass diese im letzten Drittel des Zeitraums ihrer Entwicklung einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, Schmerzen, Leiden und Ängste zu empfinden, ….“

Mit der oben vorgeschlagenen Neuregelung des § 4 Absatz 1 Satz 1 TierSchG würde der Tierschutz in Deutschland weiter gestärkt und vorangetrieben sowie das Bewusstsein für die Empfindungsfähigkeit und Mitgeschöpflichkeit von Tieren geschärft werden. Schließlich ist kein rechtfertigender Grund ersichtlich, warum die Gleichstellung von Kopffüßern, Zehnfußkrebsen und embryonalen und fötalen Entwicklungsformen von Lebewesen nur im Bereich der Tierversuche erfolgen sollte.

Mit der Gleichstellung der genannten Tiergruppen mit Wirbeltieren ginge einher, dass eine Tötung von großen Krebsen, Hummern oder Taschenkrebsen durch Eintauchen in stark kochendes Wasser nicht mehr als legal angesehen werden kann. Diese in § 12 Absatz 11 Satz 1 der Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates – TierSchlachtV – erlaubte Tötungsmethode verstößt – ohne Betäubung durchgeführt – gegen § 3 Absatz 1 ebendieser TierSchlachtV, wonach Tiere so zu töten sind, dass nicht mehr als unvermeidbare Schäden oder Aufregung verursacht werden, sowie auch gegen § 1 Absatz 2 TierSchG und Artikel 20a GG. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge stirbt ein großer Krebs nicht unmittelbar, nachdem er in kochendes Wasser geworfen wurde, sondern zeigt über bis zu zweieinhalb Minuten hinweg heftige Abwehrreaktionen einschließlich des Abwerfens seiner Extremitäten (siehe nur Biologische Anstalt Helgoland, BAH, Gutachten 2002, S. 2 und Lagrange/Hoffmann, Ist das Töten von tropischen Großgarnelen in Eiswasser zur Lebensmittelgewinnung tierschutzgerecht?, ATD 2006, S. 154 ff., S. 159). Auch das Verwaltungsgericht Berlin entschied, dass bei Hummern Schmerzfähigkeit anzunehmen sei (VG Berlin, Urteil vom 15. Februar 2017 – 24 K 188.14).

In der Schweiz gibt es eine entsprechende Regelung bereits (Art. 178 Schweizer Tierschutzverordnung), nach der das Töten dieser Tiere durch kochendes Wasser nicht mehr zulässig ist. Vorgeschrieben für eine Betäubung werden gemäß Art. 179a Schweizer Tierschutzverordnung die mechanische Zerstörung des Gehirns bzw. der Nervenzentren, was je nach Art und Größe des Krebses erschwert sein kann, oder eine Elektrobetäubung. Für solche Betäubungen fehlt in der Gastronomie die erforderliche Sachkunde, sodass in der Gastronomie eine Tötung von großen Krebsen, Hummern oder Taschenkrebsen nicht mehr stattfinden darf.