Das Verwaltungsgericht Tallinn hat dem Antrag der Nichtregierungsorganisation („NGO“) Eesti Suurkiskjad, die sich für den Schutz von Großraubtieren einsetzt, auf vorläufigen Rechtsschutz stattgegeben und setzte die Anordnung der zuständigen Umweltbehörde vom 29. Juli bezüglich der Bejagung von 90 Braunbären bis zum Inkrafttreten der endgültigen Entscheidung in dem parallel anhängenden Gerichtsverfahren aus. Der Braunbär unterliegt dem strengen Schutz des Anhang IV der FFH-Richtlinie.

Basierend auf den einschlägigen Regelungen des Jagdrechts, die die Bejagung von Braunbären in Estland in einem bestimmten, jährlich genauer festzulegenden Umfang gestattet, dauert die Jagdzeit für Braunbären in Estland vom 1. August bis zum 31. Oktober. Die Zahl der zu erlegenden Bären wird dabei zu Beginn der Bärenjagdsaison von der Umweltbehörde festgesetzt. Am 29. Juli hatte die Umweltbehörde für die diesjährige Jagdsaison diese Zahl auf 90 festgesetzt.

Die NGO Eesti Suurkiskjad hatte am 1. August beim Verwaltungsgericht Tallinn Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Nach Auffassung der NGO verstößt die Umweltbehörde bereits seit Jahren gegen das Gesetz und erteilt allgemeine Bärenjagdgenehmigungen, die nicht auf bestimmten außergewöhnlichen Bedingungen oder außergewöhnlichen Umständen basieren. Die am 29. Juli pauschal festgesetzte Zahl von 90 Exemplaren, die zur Tötung freigegeben wurden, sei eine Maßnahme, die den Zielen der FFH-Richtlinie zuwiderlaufe, so die NGO. Vielmehr müsse für jedes Exemplar konkret angegeben werden, warum es getötet werden soll und ob zuvor alle zumutbaren Alternativen eingesetzt wurden. Die reine Reduzierung des Bestandes an Braunbären könne nicht das Ziel sein. Desweiteren verwies die NGO darauf, dass der EuGH in der Rechtssache C-342/05 zur präventiven Bejagung von Wölfen in Finnland ausdrücklich festgestellt hatte, dass eine Bejagung als Präventivmaßnahme zur Vermeidung von (wirtschaftlichen) Schäden gegen Artikel 16 Absatz 1 der FFH-Richtlinie verstößt. Durch Bären verursachte Schäden für Imker könnten durch die Installation eines Elektrozauns nahezu vollständig verhindert werden.

Das Gericht stellte in seiner Entscheidung vom 09. August zunächst fest, dass sich das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der NGO bereits aus dem Wortlaut der Beschwerde ergebe: denn werde die angefochtene Verfügung nicht aufgehoben, so dürfen in der Jagdperiode 2022/2023 vom 1. August bis 31. Oktober insgesamt 90 Braunbären bejagt und getötet werden (§ 5 Abs. 1 der Jagdverordnung). Stellt der Gerichtshof bei einer späteren Überprüfung dann fest, dass der angefochtene Beschluss rechtswidrig war, und hebt er den Verwaltungsakt auf, so kann die Situation, dass kein Braunbär gejagt wurde, in keiner Weise wiederhergestellt werden. Die Nichtaussetzung des angefochtenen Beschlusses hätte damit unumkehrbare Folgen.

Die Umweltbehörde hatte hingegen argumentiert, dass der Umfang der Bejagung von Braunbären von wesentlicher Bedeutung sei um den guten Erhaltungszustand der Population zu gewährleisten, Schäden zu verhindern und soziale Probleme zu verringern. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts steige dabei kontinuierlich.

Entgegen der Argumentation der Umweltbehörde verwies der Gerichtshof nun jedoch u.a. darauf, dass die von Bären verursachten Schäden durch die Zerstörung von Bienenvölkern auch damit zusammenhängen könnten, dass die Besitzer der Bienenstöcke keine Kontrollmaßnahmen ergriffen haben (Installation von Elektrozäunen und Aufstellen von Bienenstöcken nicht in der Nähe des Waldes), wie dies von der Beschwerdeführerin dargelegt wurde. Darüber hinaus sei es auch einfacher, den Schaden, der z. B. durch die Zerstörung von Bienenstöcken entsteht, finanziell auszugleichen, um damit eine Tötung von Bären zu vermeiden.

Der Gerichtshof stimmt darüber hinaus mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass es in Umweltangelegenheiten gerechtfertigt ist, zunächst das Vorsichtsprinzip anzuwenden, da einmal verursachte Umweltschäden weitreichende Folgen haben können und nicht ohne weiteres wieder behoben werden können. Sollte sich die streitige Verwaltungsentscheidung als gerechtfertigt erweisen, kann die Behörde die Zahl der in diesem Jahr nicht bejagten Bären bei der Festlegung der Zahl der im folgenden Jahr zur Jagd zugelassenen Bären berücksichtigen.